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Rationierung im Gesundheitswesen - Die Smith-Debatte

Smith, Richard

Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 40 (02.10.1998), Seite A-2453
THEMEN DER ZEIT: Forum

Die Rationierung medizinischer Leistungen ist unvermeidbar, meint der Chefredakteur des British Medical Journal. Er fordert, eine offene Debatte zu diesem Thema zu führen. Weltweit befinden sich die meisten Gesundheitssysteme in einer Krise. Hauptgrund dafür ist die Unfähigkeit, auf die breiter werdende Kluft zu reagieren zwischen dem, was bei uneingeschränkten Ressourcen möglich wäre, und dem, was man sich tatsächlich leisten kann. Eine mögliche Reaktion wäre, die notwendige Rationierung von medizinischen Leistungen offen anzusprechen. Der Gouverneur des US-Bundesstaates Oregon, der Arzt John Kitzhaber, hat es so ausgedrückt: "Die Frage, welche Leistungen im Gesundheitssystem erbracht werden sollen, ist sicherlich die schwierigste, die kontroverseste, aber möglicherweise die wichtigste. Sie ist das sine qua non einer Gesundheitsreform. Deshalb muß ein Prozeß zur Lösung dieses Problems in Gang gesetzt werden, der nachvollziehbar ist und die Öffentlichkeit ebenso einbezieht wie die Realität begrenzter Mittel."
Gesundheitsleistungen rationieren bedeutet, Patienten eine wirksame Behandlung vorzuenthalten. "Prioritäten setzen" klingt politisch akzeptabler, meint aber dasselbe. Geht man von der These aus, daß die Rationierung medizinischer Leistungen unvermeidbar ist, sollte sie besser offen als verschleiert erfolgen. Folglich müssen die Verantwortlichen im Gesundheitswesen Rationierung eingestehen und entscheiden, wie sie vonstatten gehen soll.
Die Debatte über Rationierung ist weltweit unterschiedlich fortgeschritten. In vielen Staaten, möglicherweise in den meisten, hat die Diskussion nicht einmal begonnen. Politiker geben vor, daß für Kranke alles getan wird, was getan werden muß, und die Öffentlichkeit glaubt ihnen. Staaten wie Neuseeland, die Niederlande, Schweden und Norwegen haben die Unvermeidbarkeit der Rationierung akzeptiert und die Diskussion darüber vorangetrieben. Andere wie Großbritannien befinden sich irgendwo zwischen diesen Positionen: Die meisten Beschäftigten im Gesundheitswesen erkennen die Unvermeidbarkeit von Rationierung (ebenso wie die Medien), aber die Regierung weigert sich, dies einzugestehen.
Verhältnis von Kosten und Nutzen
Die meisten im Gesundheitswesen Tätigen erkennen, daß nicht alles für jeden getan werden kann. Die Ärzte in Großbritannien erleben dies schon seit Jahren. Aber wie läßt sich diese Unvermeidbarkeit beweisen?
Während therapeutische und diagnostische Verfahren bei einigen Patienten kosteneffektiv sind, stehen bei anderen Kosten und Nutzen nicht mehr in Relation. Ein Beispiel: Die Mortalität von Patienten mit koronaren Herzerkrankungen und einem erhöhten Cholesterinspiegel konnte nachweislich gesenkt werden, wenn sie mit Statinen behandelt wurden. Die Statin-Therapie ist bei schwer erkrankten Männern in mittlerem Alter äußert kostengünstig. Bei Frauen im Alter zwischen 45 und 54 mit Angina pectoris und einer Cholesterinkonzentration von 5,5 bis 6,0 nmol/l kostet dagegen jedes weitere Lebensjahr 361 000 Pfund. Dasselbe - erwiesene Wirksamkeit bei unverhältnismäßig hohen Kosten - trifft unter anderem auf Patienten mit Bluthochdruck zu, die mit ACE-Hemmern behandelt werden. Ein weiteres Beispiel betrifft eine Empfehlung aus den USA, sechs Tests auf okkultes Blut im Stuhl durchzuführen, um ein Kolonkarzinom zu erkennen. Die Mehrkosten, einen Krebs zu erkennen, der von fünf vorangegangenen Tests nicht diagnostiziert wurde, betragen fast 50 Millionen Pfund. Möglicherweise wird damit ein Leben gerettet, aber die Kosten sind unvertretbar hoch. Das bedeutet, daß Entscheidungen getroffen werden müssen, einigen Patienten eine effektive Diagnostik und Therapie vorzuenthalten.
In Großbritannien und anderen Ländern wird derzeit über den Einsatz neuer, aber teurer Arzneimittel unter anderem gegen Alzheimer oder Multiple Sklerose diskutiert. Hohen Kosten steht dabei ein verhältnismäßig geringer Nutzen für einen kleinen Kreis von Patienten gegenüber. Die Medikamente heilen die Krankheiten nicht, verzögern aber ihre Progression. Auf diese Weise erhöhen sie die Prävalenz der Erkrankungen und damit auch die Gesamtkosten. In Großbritannien erhält derzeit nur eine Minderheit der betroffenen Patienten die neuen Mittel. Wem sie verordnet werden, gleicht häufig einem Glücksspiel.
David Eddy, US-amerikanischer Herzchirurg und anerkannter gesundheitspolitischer Experte, vertritt die Meinung, daß Grenzen in der Gesundheitsversorgung Rationierung bedeuten. Die Mammographie beispielsweise steht in Großbritannien Frauen zwischen 50 und 65 Jahren zur Verfügung. Frauen über 65, die eine höhere Inzidenz für Brustkrebs haben, würden vermutlich mehr von dieser Untersuchung profitieren. Ähnliches trifft auf Frauen unter 50 zu, vor allem, wenn sie familiär vorbelastet sind. Hier die Altersgrenze zu ziehen heißt rationieren.
Eddy unterscheidet "sinnvolle" und "unsinnige" Rationierung. Als Beispiel nennt er die Behandlung von Patienten mit hohen Cholesterinwerten. Viele Richtlinien geben einen Cholesterinwert vor, ab dem eine Behandlung beginnen sollte. Aber, so Eddy, Ärzte sollten mehr als den Grenzwert im Blick haben. Eine junge Frau mit einem Cholesterinwert über dem Grenzwert, aber ohne weitere Risikofaktoren wird mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit an einer Herzerkrankung sterben als ein alter Mann, der an Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht leidet, dessen Cholesterinwert jedoch zufällig unterhalb des Grenzwertes liegt. Deshalb plädiert Eddy dafür, Ressourcen dorthin umzuverteilen, wo sie den größtmöglichen Nutzen erzielen. Um dies zu erreichen, müssen unter anderem die Ärzte über Kosten und Nutzen nachdenken. Der Kostenaspekt medizinischer Leistungen wird jedoch Eddy zufolge von Ärzten tabuisiert. Sie haben Nutzen und Qualität, Manager die Kosten im Blick. Folglich bekämpfen sich beide, weil, wie in jedem anderen Bereich des Lebens auch, Kosten und Nutzen zueinander in Relation gesetzt werden müssen. Die Lösung liegt nach Ansicht von Eddy darin, daß eine Person oder ein Team Nutzen und Kosten in der Gesundheitsversorgung gegeneinander abwägt. Das bedeutet, daß Ärzte in die Rationierung einbezogen werden. In Großbritannien zeichnet sich dies beispielsweise bei den General Practitioners ab, die ihr eigenes Budget verwalten.
Ronald Dworkin, Professor für Recht an den Universitäten Harvard und Oxford und einer der führenden Medizinethiker, betrachtet die Unvermeidbarkeit der Rationierung in der Gesundheitsversorgung und die gesellschaftliche Reaktion darauf auf etwas andere Art. Er nennt seine Theorie die "Klugheit des Versicherungsprinzips".
Die gegenwärtige Ausgabenpraxis im Gesundheitswesen basiert - mehr implizit als explizit - auf der Grundlage des "Isolierungsmodells". Das Modell setzt drei Dinge voraus: 1. Die Gesundheitsversorgung unterscheidet sich grundsätzlich von der Versorgung mit anderen Gütern. 2. Die Gleichheit des Zugangs zu Gesundheitsleistungen ist essentiell. 3. Wenn etwas den Tod verhindern kann, sollte dies auch getan werden ("Rettungsprinzip").
Dieses Modell hat beispielsweise in den USA dazu geführt, daß bei Kosten von mehreren Millionen Dollar siamesische Zwillinge getrennt wurden, die am Herzen zusammengewachsen waren. Dabei stand fest, daß ein Zwilling sterben würde und der andere eine Überlebenschance von einem Prozent und keine Chance auf ein normales Leben hat.
Dworkin hält das "Isolierungsmodell" weder für vernünftig noch für nachvollziehbar. Keine Gesellschaft könne ihre gesamten Ressourcen für die Gesundheitsversorgung aufwenden zu Lasten anderer Bereiche wie Bildung, Wohnen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Dworkin entwirft eine Gesellschaft mit fünf Eigenschaften:
1 Der Wohlstand ist gleichmäßig verteilt.
1 Aktuelle Informationen über Stand und Nutzen der Medizin stehen allen zur Verfügung.
1 Die Menschen entscheiden rational.
1 Eltern betrachten die Interessen ihrer Kinder gleichrangig mit den eigenen.
1 Niemand weiß etwas über die genetische, kulturelle oder soziale Prädisposition für Krankheiten.
In dieser imaginären Gesellschaft würde die Regierung keine staatliche Gesundheitsversorgung bereitstellen. Die Menschen müßten selbst entscheiden, wie und wogegen sie sich krankenversichern lassen. Dworkin behauptet, daß unter solchen Bedingungen jeweils ein angemessener Betrag für die Gesundheitsversorgung aufgewendet würde und daß jedermann gleichermaßen Zugang zu allen medizinischen Leistungen hätte: Die Menschen würden rational darüber entscheiden, wieviel sie im Verhältnis für ihre gesundheitliche Versorgung ausgeben wollen. Sie würden selber entscheiden, ob sie eine Versicherungspolice erwerben, die ihnen den Zugang zur Herzchirurgie bis zum 75. Lebensjahr ermöglicht, oder eine wesentlich teurere, die ihnen dies bis zum 90. Lebensjahr erlaubt.
Die Frage ist, ob viele Menschen eine Police erwerben würden, die ihnen lebenserhaltende Maßnahmen auch für den Fall garantiert, daß sie in einen dauerhaft vegetativen Zustand (PVS) fallen. Dworkin behauptet, daß sich dafür nur wenige entscheiden würden, und dennoch erhalte man derzeit einige 10 000 PVS-Patienten in den USA am Leben.
Würden die Menschen eine Police wählen, die ihnen eine lebenserhaltende Behandlung verweigert, wenn sie innerhalb der folgenden vier Monate sterben, oder eine sehr viel teurere Police, die jede mögliche Behandlung gewährleistet? Dworkin meint, daß die meisten sich für erstere Police entscheiden würden, obwohl 40 Prozent der Medicaid-Ausgaben derzeit auf die letzten vier Lebensmonate von Patienten entfallen.
Die meisten Menschen würden sicherlich eine Versicherung wählen, die ihnen ab einem Alter von beispielsweise 85 Jahren lebenserhaltende Maßnahmen verwehrt; zum Teil, weil sie möglicherweise ein solches Alter gar nicht erreichen, vor allem aber, weil sie sonst auf vieles verzichten müßten, um die Versicherungsprämie zu bezahlen.
Unter den Bedingungen von Dworkins Modell würden sich vermutlich drei Versorgungskategorien entwickeln: Leistungen, die nahezu jeder für erforderlich hält; Leistungen, die nahezu jeder für nicht erforderlich hält; und Leistungen, bei denen sich die Menschen unterschiedlich entscheiden. In den USA würde dies bedeuten, daß die Menschen zwischen unterschiedlichen Versicherungspaketen wählen (was amerikanische Arbeitgeber tatsächlich zunehmend anbieten). In Großbritannien könnte es bedeuten, daß der Staat Grundleistungen anbietet und darüber hinausgehende Leistungen privat versichert werden müssen.
Die These der Unvermeidbarkeit der Rationierung läßt sich anhand von Beispielen aus der Praxis belegen. Die Methoden lassen sich im Englischen durch Wörter klassifizieren, die alle mit "d" beginnen: denial (Verweigerung), deflection (Umlenkung), delay (Hinhalten), dilution (Ausdünnung) und deterrence (Abschreckung).
Die Verweigerung von Leistungen ist in Großbritannien an der Tagesordnung. Patienten, die ein bestimmtes Alter überschritten haben, werden auf Intensivstationen nicht mehr aufgenommen. Pflegepersonen von chronisch Kranken wird die Unterstützung verwehrt. Die In-vitro-Fertilisation ist für viele unfruchtbare Ehepaare nicht verfügbar.
Umlenkung bedeutet beispielsweise, daß Patienten, die Langzeitpflege benötigen, vom staatlichen Gesundheitssystem an den privaten Sektor weitergereicht werden.
Verzögerung ist eine der Hauptmethoden der Rationierung in Großbritannien. Patienten müssen manchmal Monate auf einen Termin beim Spezialisten warten, und danach mitunter Jahre auf einen Operationstermin.
Ausdünnung ist die möglicherweise gängigste Form der Rationierung im britischen Gesundheitswesen. Krankenschwestern kümmern sich auf einer Station häufiger um 20 als um die vorgesehenen 16 Patienten! Patienten erhalten eher viertägige Behandlungsreihen mit Medikamenten als fünftägige. Chirurgen verwenden eine billigere Prothese, obwohl sie überzeugt sind, daß eine teurere für den Patienten besser wäre. Rationierung durch Abschrekkung ergibt sich durch Bestimmungen wie Verordnungsgebühren, lange Wege zur Behandlung oder durch ausschließlich englischsprachige Informationen.
Rationierungsprozesse nicht verschleiern
Die Unvermeidbarkeit der Rationierung wird gerne geleugnet. Dabei wird häufig betont, daß viele medizinische Behandlungsmethoden unwirksam sind. Wenn, so lautet die Argumentation, alles unterlassen würde, was nicht nachweislich wirksam ist, bestünde keine Notwendigkeit, Leistungen zu rationieren. Es ist richtig, daß ein großer Teil der ärztlichen Leistungen (dem US-amerikanischen Office for Technology Assessment zufolge vermutlich 85 Prozent) nicht durch qualifizierte Nachweise gestützt wird. Das Fehlen von Wirksamkeitsnachweisen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis der Wirkungslosigkeit. Zudem liegen häufig gute Nachweise dafür vor, daß Ärzte statt der preiswerten die teurere Therapie anwenden sollten.
Obwohl die Argumentation, sich auf effektive Therapien zu beschränken, wichtig ist, unterscheidet sie sich grundsätzlich von der der Rationierung. Ähnlich bedeutsam ist die Diskussion darüber, wie die Effizienz der Gesundheitseinrichtungen verbessert werden kann. Sie wird die Notwendigkeit der Rationierung jedoch ebensowenig beseitigen wie die Debatte über die Finanzierung des Gesundheitswesens. Wenn mehr Geld für Gesundheit zur Verfügung stehe, so die Argumentation, schwinde die Notwendigkeit der Rationierung. Dies wird in Großbritannien gewöhnlich von der jeweiligen Oppositionspartei vorgetragen. Auch zusätzliche Mittel verlangen jedoch Entscheidungen, wie diese verwendet werden. Viele Ärzte befürchten zudem, daß eine Diskussion um Rationierung die Kostenträger aus der Pflicht entläßt, die Mittel für die Gesundheitsversorgung aufzustocken.
Rationierung hat unterschiedliche Erscheinungsformen und findet auf verschiedenen Ebenen statt. In einem staatlich finanzierten System wie dem in Großbritannien entscheidet die Regierung, wieviel Geld sie im Verhältnis zu anderen Bereichen des Staatshaushaltes in die Gesundheitsversorgung investiert. Regierungen zögern zunehmend, die Mittel für die Gesundheitsversorgung zu erhöhen. Sie begreifen, daß der Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht ausschließlich vom Gesundheitssystem abhängt. Größeren Einfluß haben sozioökonomische Faktoren wie Wohlstand, Ausbildungsniveau, Beschäftigungsstruktur oder Wohnungswesen. Höhere Ausgaben für die Gesundheitsversorgung führen letztlich dazu, daß sich der Anteil kranker Menschen in einer Gesellschaft erhöht.
Die meisten britischen Ärzte nehmen es hin, daß sie die medizinische Versorgung rationieren. Sie mögen es nicht und diskutieren es selten offen mit ihren Patienten. Aber sie tun es, weil sie wissen, daß in einem System mit begrenzten Mitteln, wie dem National Health Service, Ressourcen, die einem Patienten zugute kommen, einem anderen vorenthalten werden.
Ob Gesundheitsleistungen explizit rationiert werden sollten oder ob wir uns "durchmogeln" sollten, ist einer der zentralen Punkte der Rationierungsdebatte. Das Hauptargument vieler Kommentatoren gegen Offenheit lautet: "Es ist unmöglich, die Frage der Rationierung moralisch und methodisch zur Zufriedenheit aller zu lösen. Der Versuch der Offenheit wird das Vertrauen in die Ärzte und die Gesundheitseinrichtungen zerstören."
Rationierung sollte jedoch nicht im Verborgenen erfolgen, nur weil sie schwierig ist. Die Menschen verstehen, daß nicht jeder alles haben kann. So zu tun, als wäre dies doch möglich, heißt sie zu entmündigen. Patienten verlieren vermutlich eher das Vertrauen in ihre Ärzte, wenn sie von ihnen getäuscht werden, als wenn ihnen gesagt wird, daß harte Entscheidungen getroffen werden müssen.
Ein zweites Argument gegen die Offenheit ist, daß sie vermutlich dazu führt, die Öffentlichkeit direkt in die Entscheidungen über Rationierung einzubeziehen. Möglicherweise hätte dies zur Folge, daß bestimmte Gruppen wie Alte, psychisch Kranke oder Drogenabhängige diskriminiert werden. Dieser Einwand spricht allerdings eher dafür, die Menschen besser zu informieren, statt die Notwendigkeit der Rationierung vor ihnen zu verbergen.
Ein drittes Argument ist, daß das öffentliche Vertrauen in die Gesundheitseinrichtungen untergraben würde, wenn Patienten aufgrund abstrakter Prinzipien Therapien vorenthalten werden. Gewiß, die Bestürzung in Großbritannien war groß, als einem leukämiekranken Mädchen eine zweite Knochenmarktransplantation offenbar aus Kostengründen verwehrt wurde. Dies ist jedoch ein weiteres Argument für mehr Information und gegen eine Verschleierung der Rationierungsprozesse.
Für einen offenen Umgang mit Fragen der Rationierung spricht, daß Erwachsene Zugang zu den Entscheidungen haben sollten, die ihr Leben beeinflussen. In einer Demokratie muß es den Bürgern erlaubt sein, Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Zudem hindern offene Entscheidungsprozesse bestimmte Interessengruppen daran, unter dem Einfluß mächtiger oder vermögender Gruppen nach Tradition, Vorurteil oder Laune zu entscheiden. Rationierung ist ein "schmutziges Geschäft", und gerade deshalb darf die Öffentlichkeit nicht getäuscht werden.
Außerdem kodifizieren klare Prinzipien der Rationierung nicht das Verhalten. Sie ziehen lediglich moralische Grenzen für die Entscheidungen im Einzelfall. In der Diskussion um völlige Offenheit oder völliges Verschleiern wird keine Gesellschaft einen der Extremstandpunkte einnehmen. Sie wird sich vielmehr entscheiden, an welcher Stelle des Spektrums sie sich wohlfühlt. In Großbritannien ist derzeit eine Bewegung zur Offenheit spürbar.
Die Fragen, wer Rationierung durchführen wird und wie sie erfolgen sollte, können nicht definitiv beantwortet werden. Jedes System wird eigene Methoden entwickeln. Kein System wird das Problem lösen, weil es nicht zu lösen ist. Es bedarf vielmehr der fortgesetzten Diskussion und Entwicklung.
Ein Lösungsansatz stammt aus dem US-Bundesstaat Oregon, einem Vorreiter der offenen Rationierung der Gesundheitsversorgung. Die Diskussion in Oregon begann, als der Staat beschloß, die Kosten für Transplantationen bei Patienten, die über Medicare (staatliche Krankenversicherung für Mittellose) versichert sind, nicht zu übernehmen. Zur Begründung hieß es, der Staat wolle lieber mehr Mittel für die medizinische Versorgung eines großen Personenkreises bereitstellen, als teure Leistungen für eine kleine Zahl von Patienten zu übernehmen. Diese Entscheidung rief heftige Proteste hervor auch von denen, die behaupteten, daß Transplantationen unter bestimmten Umständen durchaus kosteneffektiv seien. Auf diese Weise wurde jedoch ein Prozeß eingeleitet, in dessen Verlauf die Unvermeidbarkeit der Rationierung akzeptiert wurde ebenso wie die Notwendigkeit, dies offenzulegen. Der Staat führte beispielsweise Meinungsumfragen zu Themen wie Lebensqualität versus Lebensquantität durch. Die öffentliche Meinung wurde mit der Ansicht von Experten abgestimmt. Daraus ergab sich eine Rangliste verschiedener medizinischer Interventionen. Das Ziel: Das Parlament setzt das Medicare-Budget fest, und der Staat finanziert daraus die medizinischen Leistungen nach ihrer jeweiligen Priorität auf der Liste.
Die Neuseeländer haben ihre offene Rationierung darauf beschränkt, Prioritätenlisten für bestimmte Patientengruppen zu erstellen, die beispielsweise auf eine Katarakt-Operation, einen Koronar-Bypass oder auf eine Hüft- oder Knieprothese warten. Sie haben ein Punktesystem (scoring) entwickelt, wobei diejenigen mit den höchsten Werten die erforderliche Operation zuerst erhalten. Das Instrumentarium basiert primär auf der klinischen Notwendigkeit. Heftige Debatten gab es darüber, inwieweit soziale Faktoren berücksichtigt werden sollten wie Alter, Gefährdung der Selbständigkeit, Pflege abhängiger Personen, Arbeitsfähigkeit und Wartezeit. Letztlich wurden einige dieser Punkte berücksichtigt. Sowohl die professionelle als auch die öffentliche Reaktion auf diese "Rationierungsoffensive" war positiv.
Medizinische Leistungen werden in allen Gesundheitssystemen rationiert. Steigende Effizienz und Effektivität werden daran ebenso wenig ändern wie steigende Gesundheitsausgaben. Es sollte jedoch offen rationiert werden, um die Verantwortlichkeit zu gewährleisten und das öffentliche Vertrauen zu erhalten. Einfache Lösungen gibt es nicht. Oregon und Neuseeland sind vorangegangen, andere Länder müssen folgen.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-2453-2458
[Heft 40]


Anschrift des Verfassers
Richard Smith
British Medical Journal
BMA House
Tavistock Square
London WC1H 9JR, Großbritannien
Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Werner, Wiener Krankenanstaltenverbund

 

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Kerschreiter, Dr. med. Dr. rer. pol. Manfred

Rationierung: Über den Preis des Lebens reden

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 49 (04.12.1998), Seite A-3094 (Zu dem Beitrag "Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte" von Richard Smith in Heft 40/1998:)
SPEKTRUM: Leserbriefe

Richard Smith hält Rationierung in der Medizin für unvermeidlich und plädiert für eine offene Debatte, in der Kosten und Nutzen berücksichtigt werden. Dem stimme ich im Prinzip zu. Bei alleiniger Nutzenbetrachtung würde man CSE-Hemmer statt Aspirin nach einem Herzinfarkt geben. Bei Berücksichtigung der Kosten ist die Entscheidung offen.
Die Notwendigkeit der Rationierung wird oft mit drei Argumenten abgestritten:
! Wenn man auf alle Medikamente mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit verzichtet, ist genügend Geld vorhanden. Beispiel: Arzneiverordnungsreports, KV-Empfehlungen. Probleme hierbei sind: Synthetische Arzneimittel sind oft teurer als pflanzliche Mittel, Kompetenzverlust der Ärzte bei banalen Erkrankungen. ! Wenn die Effizienz des Gesundheitssystems verbessert wird, sind genügend Reserven vorhanden. Insbesondere im Krankenhaussektor werden noch große Rationa-lisierungsreserven vermutet. Problem hierbei: Verbesserte Effizienz ist nicht kostenlos (Abschieben teurer Kranker, unentdeckte Krankheiten wegen unterbliebener Doppeluntersuchungen unentdeckt).
! Wenn die Finanzbasis des Gesundheitssystems verbessert wird (Verminderung von Arbeitslosigkeit, Ausweitung der Finanzierungsbasis), ist Rationierung nicht nötig.
Durch alle drei Argumente wird die Notwendigkeit der Rationierung nicht prinzipiell beseitigt, sondern nur hinausgeschoben. Das Unangenehme an einer Rationierungsdebatte: Man muß über den Preis menschlichen Lebens reden. Daß man hierüber nicht so gerne reden will, mag mit jüngerer deutscher Vergangenheit, aber auch dem hierzulande unbeliebten Utilitarismus, der zugrundeliegenden philosophischen Denkrichtung, zu tun haben.
Dr. med. Dr. rer. pol. Manfred Kerschreiter, Kirchstraße 23, 89150 Laichingen

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Bertram, Dr. med. Mathias

Rationierung: Glänzend

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 49 (04.12.1998), Seite A-3096 (Zu dem Beitrag "Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte" von Richard Smith in Heft 40/1998:)
SPEKTRUM: Leserbriefe

Fast Bravo! Längst überfällig ist auch für die Bundesrepublik die öffentliche Debatte über die Rationierung von Gesundheitsleistungen. Schleichend und gegenüber dem Patienten meist sorgsam verschleiert findet die Rationierung längst statt, parallel natürlich zu Verschwendung und falscher Ressourcenallokation. Gestützt wird diese Entwicklung durch divergente Interessen im medizinisch-industriellen Komplex, vor allem aber durch weitverbreitete Unkenntnis über Nutzen (nicht: Effizienz oder Wirkung) medizinischer Interventionen - nicht etwa, weil die Ärzte schlecht wären, sondern weil entsprechende Daten bisher nie im Zentrum des Interesses standen. Quantifizierung von Nutzen ist eine Frage von Wertung, die nicht ohne ärztlichen Sachverstand erfolgen kann. Hier hat die Ärzteschaft eine gesellschaftliche Bringeschuld.
Falsch aber, und da ist Smith in seiner ansonsten glänzenden Übersicht für hiesige Verhältnisse nicht pointiert genug, ist zugleich die Auffassung, daß die Gestaltung von Rationierung eine Sache der ärztlichen Selbstverwaltungen oder individueller ärztlicher Entscheidungen sein solle. Die Frage, an welchen Leistungen wie bei wem zu sparen sei, ist vielmehr im politischen Raum zu erörtern. In einem System der Solidarversicherung mit Zwangsmitgliedschaft muß so etwas demokratisch geklärt werden. Dazu bedarf es des öffentlichen Diskurses.
Spätestens nach Abschluß einer Phase der Effizientisierung aller Sektoren des Gesundheitssystems, die in vollem Gange ist, reichen die dumpfen Schuldzuweisungen argumentativ nicht mehr aus, die es heute mit schöner
Regelmäßigkeit vor jeder Verhandlungsrunde gibt, dieser oder jener sei ein unverantwortlicher Kostentreiber. Natürlich sind viele Technologien additiv und nicht substitutiv, natürlich werden wir noch lange auf die eine Neuerung warten müssen, welche schlagartig die Volksgesundheit meßbar heben könnte, natürlich agiert die Medizin vielfach in der Nähe eines Grenznutzens. Nur: Sind dies Argumente, die es dem individuellen Arzt im Einzelfall erlauben, dem individuellen Patienten ein möglicherweise nützliches Verfahren nicht anzubieten? Ich kann mich nicht erinnern, daß die Standortpolitiker der letzten Jahre sich je öffentlich dafür interessiert hätten, ob die Einnahmeseite der Krankenversicherung unter der expliziten Bedingung von Rationierung einem politischen Mehrheitswissen entspricht. Die implizite demokratische Legitimierung ist bisher immer unter den Voraussetzungen der Lüge ("jeder bekommt alles, was er braucht") erfolgt. Entspricht dem Wählerwillen die politische Prioritätensetzung, nämlich Vollbeschäftigung anzustreben, innere und äußere Stabilität zu sichern etc. durch Begrenzung der Lohnzusatzkosten, auch auf die Gefahr hin, in Zukunft Opfer von Rationierung im Gesundheitswesen zu werden? Bestünde hierzu expliziter öffentlicher Konsens, so könnte der Arzt im Einzelfall dem ansonsten nicht auflösbaren Widerspruch von Verantwortung für den Individualpatienten versus Mitverantwortung für ein sich ihm immer nur umrißhaft darstellendes, nicht faßbares, aber im Sanktionsfalle bedrohliches "System" entgehen.
Dr. med. Mathias Bertram, Bahnhofstraße 45 c, 25474

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Stöhr, Prof. Dr. Manfred

Rationierung: Gehütetes Tabu

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 49 (04.12.1998), Seite A-3096 (Zu dem Beitrag "Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte" von Richard Smith in Heft 40/1998:)
SPEKTRUM: Leserbriefe

Die Diskussion um eine künftig unabweisbare Rationierung medizinischer Leistungen ist in Deutschland noch nicht einmal in Gang gekommen, da dieses Thema ein allseits gehütetes Tabu darstellt. Noch gravierender ist die Tatsache, daß hierzulande nicht einmal über eine Einschränkung überflüssiger oder gar unsinniger Leistungen gesprochen wird. So werden Patienten mit Migräne und Spannungskopfschmerz in großer Zahl von ihren Hausärzten zur Kernspintomographie des Schädels überwiesen; nicht wenige Privatpatienten überweisen sich sogar selbst - obwohl bildgebende Verfahren zur Diagnose dieser häufigen Erkrankungen nicht das geringste beitragen. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Heer der Rückenschmerz-Patienten, bei denen im großen Umfang bildgebende Verfahren zum Einsatz kommen, noch bevor eine adäquate klinische Untersuchung erfolgt ist. Würde man Überweisungen zur bildgebenden Diagnostik des Schädels beziehungsweise der Wirbelsäule aus-schließlich den "Kopffächern" beziehungsweise Orthopäden, Neurologen, Neuro- und Unfall-Chirurgen zugestehen, könnten immense Kosten eingespart werden, ohne die Qualität der medizinischen Versorgung auch nur im geringsten zu verschlechtern.
Ähnliche Einsparpotentiale finden sich auf dem therapeutischen Sektor. Die alleinige Reduktion unsinnig gewordener Intensiv- und Maximaltherapien auf eine Minimalbehandlung - zum Beispiel bei vielen Koma- und Tumor-Patienten mit infauster Prognose - würde Millionen einsparen, die anderweitig sinnvoll eingesetzt werden könnten.
Prof. Dr. Manfred Stöhr, Neurologische Klinik und klinische Neurophysiologie, Zentralklinikum Augsburg, Stenglinstraße 2, 86156 Augsburg

 

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Kajdi, Dr. med. Thomas

Rationierung: Freier Markt für freie Bürger

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 49 (04.12.1998), Seite A-3096 (Zu dem Beitrag "Plädoyer für eine offene Rationierungsdebatte" von Richard Smith in Heft 40/1998:)
SPEKTRUM: Leserbriefe

Die Forderung, daß "Rationierungsprozesse nicht verschleiert werden dürfen", zeigt in Wirklichkeit, daß die Rationierungs-Befürworter beim Sparen mittlerweile unsicher geworden sind, weil es um richtige Menschenleben geht. Sie glauben, daß ihre Entscheidung darüber, wer durch Mangel an Therapie stirbt, legitimer und "ethischer" wird, wenn sie sich "konsensfähiger Mehrheiten" versichert haben. In Wahrheit ist aber Moral keine Frage von Mehrheiten, sondern Mehrheiten sind hier nur das Machtinstrument für Lobbyisten und Politiker zur Durchsetzung des Rationierungsgedankens. Die Verteidiger dieses Mängelsystems entrüsten sich darüber, daß Gesundheit "doch keine Ware" sei. Sie warnen vor jener "Zweiklassenmedizin", die erst durch ihre Budgetierungen entsteht und den Kassenpatienten gegenüber den Privatpatienten immer schlechter stellt, weil der Fortschritt - der gößte Preistreiber in der Medizin - nicht eingeplant ist. Sie lehnen die Steuerungswirkung von Preisen in einem freien Marktsystem ab, weil ihnen das Belohnungssystem - sprich das "böse" Profite-Machen - zuwider ist und sie auf "Leistungsbegrenzung" setzen. Aber nur in einem System, in dem Preise bekannt sind, kann man richtig sparen und Knappheit durch Leistungsausweitung (durch Belohnung, Konkurrenz und anschließende Preissenkung) kostengünstig beheben. Dagegen schreiben "Budgets" unsinnige Leistungen fest und werden immer restlos "ausgeschöpft". Die Alternative zur unmoralischen Budget-Mißwirtschaft heißt freier Markt für freie Bürger, die in Fragen von Leben und Tod, ohne Bevormundung, selbst entscheiden können müssen, wofür die Gelder verwendet werden sollen, die sie einzahlen. Nur in einem funktionierenden privatwirtschaftlichen subsidiären Versicherungssystem gibt es eine ethisch saubere und organisatorisch effektive Lösung für das Knappheitsproblem im Gesundheitswesen.
Dr. med. Thomas Kajdi, Berufsverband der Niedergelassenen Neurologen und Psychiater des Saarlandes e.V., Wadgasser Straße 170, 66787 Wadgassen

 

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Schnetzer, Klaus

Rationierung: Im Alltag schon Wirklichkeit

in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 50 (11.12.1998), Seite A-3182 (Zur Verwechslung und Vermischung von Begriffen und Sachverhalten wie Rationalisierung und Rationierung Anmerkungen eines als Sachverständiger im Prüfwesen tätigen Arztes:)
SPEKTRUM: Leserbriefe

Rationieren bedeutet zunächst nichts anderes als lediglich Begrenzung von verfügbaren Möglichkeiten oder Mitteln. Wenn der Gesetzgeber derzeit Solidarität vor Subsidiarität als Gestaltungsprinzip für das System der Gesetzlichen Krankenversicherung wählt, muß er festlegen, wieviel Prozent des Bruttosozialproduktes er den gesetzlichen Krankenkassen zu Lasten von anderen Teilen der Volkswirtschaft zukommen lassen will. Das heißt: Er legt die finanziellen Grenzen fest, innerhalb derer die Solidargemeinschaft in der Lage ist, individuelle Lebensrisiken des einzelnen zu Lasten der Solidargemeinschaft zu finanzieren. Sind diese Grenzen überschritten, zum Beispiel durch Einnahmerückgänge der Krankenkassen zur Entlastung der Wirtschaft, wird der einzelne dazu gezwungen, die dadurch auftretenden eigenen gesundheitlichen Risiken zu übernehmen.
In diesem Sinne ist Rationierung (verstanden als Begrenzung von finanziellen Möglichkeiten) somit bereits elementarer Bestandteil des bundesrepublikanischen Gesundheitswesens von Beginn an und nicht erst seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Mit der Tatsache, daß die ökonomischen Möglichkeiten im System Solidarität vor Subsidiarität begrenzt sind, ist noch lange nicht geklärt, nach welchen inhaltlichen Kriterien diese begrenzten Möglichkeiten von welcher verantwortlichen Instanz, mit welcher ethischen Begründung, welcher rechtlichen Legitimation, welchem Personenkreis zugestanden werden und welchem Personenkreis unter ähnlicher Fragestellung zugemutet wird, eigenverantwortlich für die Abdeckung der daraus resultierenden Versorgungsrisiken zu sorgen. Ein armer (menschlich bedauernswerter) Kranker ist nicht automatisch ein finanziell armer Patient, dem etwa eine überproportionale individuelle Kostenbeteiligung an den Lasten der Solidargemeinschaft nicht zugemutet werden kann (zum Vergleich: freiwillig Versicherte der GKV mit hohem Einkommen/ Diskussion in der Schweiz zur Ausgrenzung von Hochvermögenden aus der Sozialversicherung). Andererseits ist nicht einleuchtend, daß Finanzierungsgrenzen der Solidargemeinschaft einfach auf eine Berufsgruppe wie die Vertragsärzteschaft übergewälzt werden. Die vielfach zu hörende Gleichsetzung von Patient gleich Kunde, Vertragsarzt gleich Leistungsanbieter, Vertragsärzte untereinander gleich konkurrierende Wettbewerber am Markt der Heilkunde übersieht die Tatsache, daß derartige Gleichsetzungen nur dann haltbar wären, wenn
die vertraglichen Beziehungen zwischen diesen angeblichen "Markt"-Teilnehmern auf alleiniger zivilrechtlicher Grundlage beruhen würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Aus der Tatsache, daß der Vertragsarzt im Schadensfall dem Kassenpatienten haftet, folgt keineswegs, daß zwischen beiden eine zivilrechtliche Vertragsbeziehung besteht. Was für Privatärzte ohne Budget und Versorgungsauftrag im Umgang mit Privatpatienten gilt, ist nicht automatisch auf das Versorgungssystem der Kassenärzte mit Sicherstellungsauftrag unter Budgetdruck zu übertragen . . .
Klaus Schnetzer, Herrenstraße 14, 76437 Rastatt