Das erste Wochenende im November ist ein Wochenende an dem viele Skandinavier die Gräber ihrer Lieben besuchen. An diesem Wochenende wird „alle helgens dag“ , das einzige große kirchliche Fest des Herbstes gefeiert. Der „alle helgens dag“ ist aus dem katholischen Fest Allerheiligen hervorgegangen, dass auch als das Osterfest des Herbstes bezeichnet wird. Dieses Fest wird in orthodoxen Kirchen am ersten Sonntag nach Pfingsten und in der römisch-katholischen und der anglikanischen Kirche am 1. November gefeiert. Es wurde ursprünglich zum Gedenken an alle Märtyrer gefeiert, die keinen eigenen Feiertag haben. Der in Halle geborene Arzt Johann Friedrich Struensee (1737-1772) verlegte 1770 als Regent des Königs von Dänemark-Norwegen den Feiertag im Rahmen einer Feiertagsreduktion. In Dänemark und Norwegen wird er nun am ersten Sonntag im November und in Schweden einen Tag früher gefeiert. Inhaltlich entspricht er eher dem Allerseelentag, der in der katholischen Kirche am 2. November gefeiert wird, und dem deutschen Totensonntag: Es wird der im vergangenen Jahr Verstorbenen gedacht. Es ist bei uns der einzige Feiertag, an dem in fast allen Kirchen Gottesdienst gefeiert wird und man die Gräber seiner Lieben besucht und auch ein wenig schmückt.

 

Alle Friedhöfe in Norwegen sind kirchliche Friedhöfe, auch wenn es in einigen Städten inzwischen muslimische Grabfelder gibt. Die Vorschriften für Beerdigungen sind in Norwegen sehr übersichtlich: Es gibt ein Gesetz . Es schreibt uns vor in der Regel innerhalb von 8 Tagen nach dem Todesfall zu beerdigen und es sichert das ein einfaches Grab in der Kommune des  Wohnsitzes 20 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Es gibt eine Vorschrift zum Gesetz, das die Vorschriften für die Einrichtung von Friedhöfen, die Abmessungen von Gräbern, einen Sargzwang , Regeln für die Behandlung von Särgen und Urnen, den Betrieb von Krematorien und insgesamt 8 Paragraphen über Grabsteine auf Gräbern. Es soll in der Regel nur ein Grabstein pro Grab aufgestellt werden. Text, Fotografi, Verzierungen und Symbole sollen zurückhaltend eingesetzt werden und normalerweise nur die Namen der dort beerdigten dort verzeichnet werden. Der für das Grab Verantwortliche ist für den Grabstein und nach Ablauf des Grabes auch für dessen Entfernung verantwortlich. Der Grabstein muss deshalb fest stehen, aus einem Material sein, das das norwegische Wetter und die das Rasenmähen auf dem Friedhof verträgt, und er darf nicht zu groß sein: Eine maximale Höhe von 150 cm , eine Breite von 85 cm, eine Stärke von 60 cm, ein lichtes Volumen von 0,2 m3 und ein Gewicht von 300kg dürfen nicht überschritten werden. Doch Ausnahmen sind möglich, solange der  Stein entsprechend der Vorschriften mit einem Fundament und Bolzen gegen Umfallen gesichert ist. Weitere Vorschriften, abgesehen von der kirchlichen Liturgie für die Beerdigung, gibt es nicht. Trotzdem der Friedhof ist ein Platz des stillen Gedenkens und kein Platz des Wettbewerbs. Im Gegensatz zu deutschen Friedhöfen sind die Gräber meist nicht gegeneinander abgegrenzt sondern offen zugänglich. Im Tod sind alle gleich: In Gottes Hand und auf seine Gnade angewiesen. Kaum jemand hat nutzt als die Fläche eines A3-Blattes vor dem Grab für Blumen und Grabschmuck. Aber auch nicht alle haben dies. Der Rest des Grabes ist mit Rasen überwachsen und wird von der Kirchgemeinde mit dem Rasenmäher gepflegt. Niemand muss auf ein Grab für seine Lieben verzichten, nur weil er weit weg wohnt. Kaum ein alter Mensch muss sich, aus Angst davor seine Angehörigen mit der Grabpflege zu überfordern, für ein anonymes Grab entscheiden. Ich habe in Deutschland den Schmerz von Menschen erlebt, deren Angehörige in einem anonymen Grabfeld auf einem städtischen Friedhof weit weg beerdigt wurden, und die nun kein Grab haben um ihre Trauer auszudrücken. Die Verstorbenen, die selbst viele Jahre lang Gräber in der größten Sommerhitze aufopferungsvoll gepflegt hatten, wünschten sich für sich selbst ein einfach zu pflegendes Grab: Ohne regelmäßiges Harken und Bepflanzen, ein Ort für Andacht und stilles Gedenken   . Dafür war auf dem kirchlichen Friedhof vor Ort kein Raum. So entschieden sie sich satt für den kirchlichen Friedhof im Dorf, für das anonyme Grab weit weg in der Stadt.

Ich verstehe, dass kirchliche Friedhöfe auch als solche zu erkennen sein sollen. Wer ist es, der entschieden hat, dass es nur die eine christliche Friedhofskultur gibt? Warum ist es nicht möglich einen Blick nach Herrnhut zur Brüder-Unität, ins katholische Bayern oder gar über die Landesgrenzen hinaus zu werfen? Oder werden dort keine Christen beerdigt? Vielleicht steckt dahinter aber auch ein deutsches Bedürfnis alle denkbaren und undenkbaren Möglichkeiten in Detail zu regeln? Gibt es nur die eine christliche Friedhofkultur oder vielmehr ein ganzes Spektrum davon? Gilt dies nicht insbesondere in unserer mobilen Zeit?

Kultur ist lebendig, sie entwickelt und verändert sich. Dies gilt auch für christliche Friedhofskultur. Jeder Versuch sie unverändert in einem engen Korsett zu konservieren muss auf Dauer scheitern. Ich bin in meinen 10 Jahren als Pfarrer in Norwegen hier noch mit einer Friedhofssatzung in Berührung gekommen. Mein persönlicher Entschluss steht übrigens auch fest: Ich möchte in einem einfachen norwegischen Grab beerdigt werden und nicht in einem engen deutschen kirchenbürokratischen Korsett.

 

 

Michael Hoffmann, Sokneprest in Haram und Fjørtoft (wie der Fußballspieler)

Veröffentlicht in den Mitteldeutschen Kirchenzeitungen: http://www.mitteldeutsche-kirchenzeitungen.de